Navigation

Pulp - ein Wort mit lautmalerischer Wirkung, das das Zerplatzen von Luftblasen nachzuahmen scheint, bei dessen Aussprache sich Bilder von einer zähfließenden Masse einstellen. Pulp ist das Basismaterial für die Herstellung von Papier und der Werkstoff von Wolfgang Heuwinkel - ein fasriger Zellstoff-Brei, aus dem der Künstler mit den Händen oder mit einem Wasserstrahl Strukturen, Reliefs und Skulpturen formt. Zellstoff verarbeitet Heuwinkel auch in Form von gebündelten Platten und Blöcken, die behauen, durchfeuchtet und bepflanzt werden. Neben den ästhetischen Aspekten dieses natürlichen Fasermaterials beschäftigen ihn mehr und mehr auch die physikalischen und ökologischen Eigenschaften. Damit bringt er seine künstlerischen Intensionen in aktuelle Zusammenhänge unserer Zeit.

Wo sind Bezugspunkte zwischen den künstlerischen Ideen Wolfgang Heuwinkels und der wissenschaftlich-politischen Arbeit des Umweltbundesamtes auf den Gebieten von Ökologie und Umweltschutz? Die Brücke schlägt der Gedanke der Nachhaltigkeit, dessen abstrakte Existenz Wolfgang Heuwinkel in seinen Kunstwerken versinnlicht und versinnbildlicht. Die Installationen, bei denen Heuwinkel in der Landschaft große Zellstoffblöcke mit Baum-Setzlingen bepflanzt, weisen auf die Wurzeln des Begriffs "Nachhaltigkeit" hin, die in der Forstwirtschaft liegen. Dort bezeichnet er die vor- und fürsorgliche Wiederaufforstung von Waldflächen, die zur Nutzung gerodet wurden. Inzwischen ist Nachhaltigkeit zum globalen Leitbild ressourcenschonender gesellschaftlicher Entwicklung und persönlicher Lebensführung geworden, das auf den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen und biologischer Vielfalt für die nächsten Generationen gerichtet ist. Heuwinkels Installationen verdeutlichen einen Zyklus von Metamorphosen (Natur-Industrieprodukt-Rückführung ), in dem ein natürliches System so genutzt wird, dass es in seinen wesentlichen Charakteristika langfristig erhalten bleibt. So lassen sich diese konzeptuellen Arbeiten als Plädoyer des Künstlers für die Ethik der Nachhaltigkeit verstehen.

Wolfgang Heuwinkel interessieren Kreisläufe, Wandlungen und Entwicklungen. Er geht mit seinem Werk "zurück zur Natur", Schritt für Schritt vom Produkt Industriepapier über seine Zwischenformen - wie dem Zellulose-Faserstoff "Pulp" - bis zum natürlichen Wachstum des "Urstoffs" Holz. Bei seinen "Verfüllungen" zum Beispiel wird Zellstoffmasse in Risse und Astlöcher von Bäumen oder in geschlagenes Holz eingebracht. Das Industriematerial "verschmilzt" wieder mit seinem natürlichen Ursprung, ist draußen der Verwitterung ausgesetzt und verschwindet endlich fast spurenlos. Diese Hinwendung zum Elementaren und Prozesshaften kann bei dem Betrachtenden Wahrnehmungs- und Denkprozesse in Gang setzen, die sich auf die natürlichen Ressourcen als Voraussetzung unserer Konsumproduktion richten und den leichtfertigen Umgang mit ihnen in Frage stellen.

Die stringente Reduktion Heuwinkels auf Struktur und Wesenheit des Papiers und die Klarheit der Formen seiner Werke bringt eine unerschöpfliche Fülle sinnlicher Eindrücke und geistiger Räume hervor. Selbstbeschränkung, Reduktion, die der Verdichtung des Ausdrucks, der Intensivierung und Energetisierung dienen, sind nicht nur entscheidende Gestaltungsprinzipien der ästhetischen Moderne. Unter den Vorzeichen nachhaltiger Zukunftsplanung gilt es, diesen Zusammenhang für alle Lebensbereiche zu verstehen und zu realisieren. Hildegard Kurth beschreibt die impulsgebende Rolle der Kunst in diesem Prozess in ihrem Aufsatz "Die Kunst der Reduktion": "Als eine Art Kontrastfolie bieten die reduktiven Ästhetiken eine hervorragende Reibungsfläche zur Sensibilisierung für Gestaltungsfragen. Sie liefern Formen und Bilder, Inspirationen und Entwürfe für ein Verständnis von Wohlstand, das in einem selbstbestimmten Verzicht auf materialisierte Überfülle nicht die Gefahr von Armseligkeit oder Schäbigkeit, sondern im Gegenteil ... einer durch Zurücknahme gesteigerten Lebensfülle sieht." (Sonderheft "Lebenskunst" der Zeitschrift Poltische Ökologie, 2001) Martha Hölters-Freier, Umweltbundesamt Berlin, September 2003

Wer sich auf Materialien und Prozesse einlässt, auf die die so genannten Gesetze der Natur noch einen Einfluss haben, wer das hinzunimmt, was wir Zufall nennen, macht eine Neugier zum Thema seiner Arbeit, die dem gewohnten Narzissmus des Künstlers entgegensteht.
Zu diesen Fragenden, Forschenden gehört Heuwinkel: Das Feld, das er absteckt, enthält keine Fiktionen, er hat sich in einer professionellen Kenntnis der Papierherstellung abgesichert. Von dorther sind alle Arbeiten abgeleitet.
Es lag mir daran zu zeigen, wie weit die künstlerische Fantasie und die kulturelle Aura des Materials ihn aus diesem Feld hinausführen können. Er wird versuchen, die Bäume, die er gepflanzt hat, am Leben zu erhalten, die Metamorphosen, die er geschaffen hat, zu vervielfältigen und einen Kreis von Betrachtern um sich zu versammeln, der sich dem Spiel zwischen Künstler und Natur öffnet.
Wolfgang Becker, Aachen, Mai 2003